Kanakenblues hört sich für mich an wie ein hochprozentiger Cocktail. Hier die Hauptkomponenten, sprich die wesentlichen Handlungsstränge:
- Krimineller Hauptkommissar Boyle im Kampf mit anderen kriminellen Kollegen
- Kanake rächt vergewaltigte Tochter, zieht dabei mordend Spur durch Hamburg
- Obiger Hauptkommissar kämpft bei den Ermittlungen gegen den Kanaken auch gegen Gangsterbosse, gegen noch mehr kriminelle Kollegen sowie sich selbst bzw. seine Vergangenheit
- Nachdem Boyle seine Mieze geschwängert hat, denkt er über gemeinsame Zukunft mit ihr nach
Ferner beinhaltet der Cocktail einige weitere, kleinere Nebensächlichkeiten.
Insgesamt ein Cocktail, in dem Anne Kuhlmeyer die folgende Note herausschmeckt: „Im Ton entspricht er eher den hard boiled novels von Hammett oder Chandler, nur ein paar Oktaven höher, greller in der Farbe, drastischer im Kontrast.“***
Ich schmecke mehr ein Gemenge knackiger Sprüche und aufgemotzter Szenen heraus. „Ich wollte einen Krimi schreiben, den nicht nur SZ-Stammleser mögen, der eher an die jüngeren Leute geht. Und auch ein wenig in deren Sprache“ sprach der Autor und Philly* hielt’s als Teil eines Interviews fest. Die „Straßensprache“ soll es sein.
Es gibt tatsächlich viele Sprüche und Redewendungen, von denen unbedarfte Leser denken könnten, dass so die Sprache der Straße klingt. Die „Straße“, das ist in diesem Fall ein sehr spezielles Milieu in dem korrupte Polizisten mit dem mittleren und gehobenen Ganstermanagement vernetzt sind, in der ein rauer Ton herrscht. Von Chandler und Hammett dennoch weit entfernt.
Mittendrin, aber nicht Teil des Netzwerks, der Mann, der als Kanake bezeichnet wird. Dieses arme Schwein, das meint, die Vergewaltigung seiner Tochter durch vier junge Kerle rächen zu müssen. Das dabei erkennt, nur Werkzeug seines eigenen Ehrgefühls und Teil eines Komplotts zu sein, an dem er am Ende bezahlen muss, wenn er Glück hat mit Knast, im anderen Fall mit dem Leben. Von der Lage nicht viel anders als es bei Boyle zu sein scheint, denn „Boyle hatte sich in seinem eigenen Netz verfangen, aus dem es keinen Ausweg geben würde.“
Innerhalb von 24 Stunden steht dann fest, wie es ausgeht für den Kanaken und seine Familie, wobei Boyle ein Verhalten zeigt, dass man ihm nicht zugetraut hat. Und nach 24 Stunden weiß Boyle auch, ob es einen Ausweg für ihn gibt oder nicht.
24 Stunden, die das Leben von Boyle, dessen Freunden und Feinden verändert. Ein Zeitabschnitt, in der er mehr erlebt, als andere Leute in einem ganzen Leben.
David Gray hält ein hohes Tempo. Dabei wirkt vieles nur hingerotzt – um in der Sprache der Straße zu bleiben -, weniger erzählt. Aber das ist (siehe oben) wohl so gewollt. Manchmal liest es sich wie die Sprechblasen eines Comics, mit „KLACK“ und „KLICK.KLICK.KLICK“; dazu auch sonst eine erhebliche Zahl an Wörtern in Großbuchstaben. Als Beispiel: „Er hat es erzählt, als sei es eine HELDENTAT gewesen, verstehen Sie? Er war STOLZ darauf. Begreifen Sie, wie weit es mit ihm gekommen war, wenn er vor MIR, seiner MUTTER, damit angibt?“
Was wichtig erscheint, kommt in Großbuchstaben daher. Eine Lese- und Verständnishilfe für die eher jüngeren Leute? Warum auch immer. An anderer Stelle klingt’s dann wieder recht bieder, die SZ-Stammleser wird’s erfreuen: „Er hatte den Kollegen, der hier heute zu Grabe getragen wurde, kaum gekannt.“
Nun denn, so richtig wie aus einem Guss erscheint das Buch nicht. Es ist die vom Autor erweiterte und überarbeitete Neufassung des 2011 erschienen Romans mit dem Titel „Glashaus“.
Selbst wenn David Gray durch flapsige Sprüche seine Leserschaft in die zwei Gruppen unterteilt, selbst wenn er eine Rezensentin**, die nach dem Lesen den Kanakenblues nicht bejubelt, unter anderem mit den Sätzen „Da glaubt man ja fast der / die Rezensentin hätte bei der FAZ vor 30 Jahren sein Handwerk geübt. Und seither, was die Entwicklung des Krimis betrifft nicht mehr viel hinzu gelernt“ bedenkt,
– was beides inhaltlich nicht relevant ist –
so ist dieser Roman doch ein mutiger Versuch, in Deutschland einen Text zu schreiben, wie wir Thriller von Deon Meyer, Mike Nicol, Adrian McKinty und anderen längst gewohnt sind – und wie es neulich auch dem 20jährigen Ben Atkins in großartiger Weise gelungen ist.
Ein Cocktail, bei dem noch nicht alle Komponenten zueinander passen, der noch keinen abgerundeten Geschmack vermittelt.
Im Abgang durch die letzte Szene jedoch rasant: Boyle ballert noch mal richtig los – und trifft. Das Ziel wird nicht verraten.
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Erschienen 2015 bei Pendragon
*Interview von Philly bei Wortgestalt-Buchblog
** tinderness fand das Buch nicht so gut
*** Anne Kuhlmeyer hat eine hohe Meinung von David Gray und seinem Kanakenblues
Eine sehr gelungene differenzierte Darstellung. Du hast sicherlich recht, dass einiges an diesem Buch noch unausgereift ist, aber für mich überwog der positive Eindruck.