Ein paar Tage im Mai 1964. Auf Burg Waldeck findet das erste „Waldeck-Festival“ statt. Während „Waldeck„ den Übergang von der deutscher Schlagerkultur der Nachkriegszeit in die Phase der kritischer „Singer/Songwriter“ zeichnet, ist in den benachbarten Dörfern noch der Geist der Nazis vorhanden. So ignoriert der Großvater Mines Geburtstag am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation, für ihn ein Tag der Schmach. Viel schlimmer ist aber, dass hohe Nazichargen den Bundesnachrichtendienst durchsetzt haben, andere unter neuem Namen ein gutbürgerliches Leben führen, in dem die alten Seilschaften zum Nutzen der Mitglieder gepflegt werden.
Das ist der Rahmen von Jürgen Heimbachs neuestem Kriminalroman. Nicht zum ersten Mal hat der Autor das Wirken ehemaliger Nazis bis in die 60er Jahre in seinen Romanen thematisiert.
Bei Waldeck steht neben Mine Silvia im Mittelpunkt, deren Vater als ehemaliger SS-Arzt in einem Konzentrationlager Zahngold „sichergestellt“ hat und nicht nur dabei als Täter aufgefallen ist. Nun führt er in München unter neuem Namen eine Zahnarztpraxis, ein hochangesehener Mann.
Als eine ehemalige Insassin eines Konzentrationslager diese Transformation jedoch bemerkt und einen Journalisten, der über die Riege der zumeist reingewaschenen Nazi recherchiert, über ihre Entdeckung informiert, gerät das Heile-Welt-Bild des Zaharztes und seinem alten Weggenossen Edgar Winter aus den Fugen.
Die Informantin stirbt, bevor der Journalist Ferdinand Broich sich über die genauen Erkenntnisse der alten Dame informieren kann, unter mysterösen Umständen. Zudem hat Silvia in Vaters alten Unterlagen die Wahrheit über dessen Vergangeheit im 3. Reich und die damit verbundenen Lügen entdeckt. Damit will sie in ein selbstbestimmtes Leben starten. Ebenso wie Mine, die aus einem erzkonservativen Umfeld ausbrechen möchte. Der Zufall – oder der Autor des Romans – will es so, dass sie sich auf dem Weg zu Festival treffen.
Aber bis dort ankommen ist es ein langer Weg, auch für den Investigativ-Journalisten, der den Fall des Zahnarztes publik machen möchte. Ebenso für Edgar Winter, der über die Leichen von Freund und Feind geht, um die Wandlungen von Nazitätern inklusive der eigenen zu vertuschen.
Mit einem Showdown auf der Wiese von Burg Waldeck findet die Geschichte ein Ende.
Es ist immer wieder erfreulich, wenn Autorinnen und Autoren die Verhältnisse in der damaligen jungen Bundesrepublik aufgreifen und über das unbehelligte Weiterleben von Nazitäter exemplarisch-fiktiv berichten. Ein kleines Puzzleteilchen zum Zeitgeschehen in den 60ern des vorigen Jahrhunderts hat Jürgen Heimbach damit geschaffen. Ein zweites gibt er uns mit der Beschreibung der Stimmung in einigen Teilen der deutschen Jugend, die zur Entstehung des Waldeck-Festivals führte.
Eine persönliche Bemerkung: 1964 war ich 17 Jahre alt, Schüler der 11.Klasse eines Gymnasiums. In meinem biederen Umfeld und dem meiner Mitschüler spielte die Veranstaltung auf Burg Waldeck keine Rolle. Ich kann mich nicht daran erinnern, in dem Jahr davon gehört zu haben. Vom Frankfurter Auschwitz Prozess wussten wir von einem Mitschüler, dessen Halbbruder als Rechtsanwalt dort jemanden vertrat. Ob Täter oder Opfer wussten wir allerdings nicht, haben es auch nicht hinterfragt. So war das!
Aus diesem Grund danke ich Jürgen Heimbach, dass er die Situation in jener Zeit noch einmal lebendig hat werden lassen. Wer als Krimifreund neben einer spannenden Handlung am Zeitgeschehen der 60er des vergangenen Jahrhunderts interessiert ist, dem empfehle ich dieses Buch.
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Jürgen Heimbach: Waldeck, Unionsverlag (2024)