Eva Ladipo: Wende

IMG_0247Die Basis dieses Buches ist sowohl die Wende, mit der wir den Wandel in der DDR im Jahre 1989, dem daraus resultierenden Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung bezeichnen, als auch die Energiewende in Deutschland, mit der nicht nur der Atomausstieg sondern ursprünglich auch der Ausstieg aus der Stromerzeugung durch fossile Energieträger gemeint war. In diesem Gemenge aus Politik und Wirtschaft, bewegen sich Gewinner und Verlierer, von Eva Lapido dargestellt durch Charaktere, die ihre persönlichen Wenden während und nach diesen Ereignissen vollziehen, davon profitieren oder krepieren.

Vordergründig ist René Hartenstein die Hauptperson, ein Jurist, der seinen Job verliert, als sein Arbeitgeber,ein Energiekonzern, sich von seinen Atomkraftwerken trennt. Hartenstein, ein klassischer Yuppie, Ossi von Geburt hatte es geschafft. Raus aus der thüringischen Kleinstadt, dem Mief des zerbrechenden Elternhauses und herausgetreten aus einer kriminellen Jugendgang seines Heimatortes in die feine Gesellschaft im Rhein-Main-Gebiet mit Freundin aus elitärem Elternhaus. Zwar ein „Atomschwein“, aber eines, dass jede Menge Geld verdient. Und nun ohne Job.

Genau wie sein Arbeitskollege und Freund Martin Jäger, der am gleichen Tag wie Hartenstein den Job verliert und am Tag darauf erhängt aufgefunden wird. Ob es tatsächlich Selbstmord war, die Frage wird später geklärt. Jäger – von Auftreten und Wesen der Gegenentwurf zu Hartenstein – war von einem strammen Grünen ebenfalls zu einem „Atomschwein“ geworden, zweifelte gar am Sinn der Energiewendepolitik. Jäger ist krepiert, ist Hartenstein derjenige, der profitiert?

Nach kurzer Ungewissheit ergibt sich für den Juristen der Einstieg in einen Londoner Investmentfonds, der mit riesigem Erfolg in der Energiebranche große Summen Geld anlegt. Engagiert wurde er scheinbar zufällig von Anna Smoktun, einer älteren Deutschen, die den Fonds leitet. Es ist eine sonderbare Frau, etwa doppelt so alt wie Hartenstein. Zwischen den beiden entwickelt sich eine eigenartige Beziehung. Die Chefin fördert ihren Mitarbeiter, doch Hartenstein ist ihr gegenüber skeptisch. Von Neugier getrieben, macht er sich auf den Weg in die Vergangenheit der Anna Smoktun.

Die Nachforschungen machen die Frau zu einer weiteren Hauptperson dieses Romans. Sie führen zu den beiden großen Wenden und dem missglückten Versuch der früheren Möglichkeit eines Umbruchs in der DDR. Der Weg Anna Smoktuns, den Hartenstein aufdeckt und versucht zu verstehen, ist zwar geprägt von diesen Ereignissen. Die daraus resultierenden Wendungen im Lebenslauf dieser Frau wirkt faszinierend oder erschreckend. Es kommt auf den Blickwinkel an.

Das ist es, was diesem Thriller den Thrill bringt, das Unerwartete, Unglaubliche und bei intensivem Nachdenken doch Verständliche. Auf der anderen Seite, die Mär vom einfachen Gelingen der Energiewende, vom leichten Atomausstieg, der Glückseligkeit beim Aufbau der erneuerbaren Energien, gekoppelt mit dem kräftigen Auftrieb der Energie aus fossilen Brennstoffen und der stärker werdenden Abhängigkeit von russischem Gas. Diese Heucheleien zeigt Eva Ladipo auf. Eine Pro-Atomenergie-Story ist es dennoch nicht. Sie zeigt auf die Gewinnler in Sachen Klimaschutz und unsere Naivität. Uwe Kalkowski hat diese Thematik ausführlich in seiner Rezension des Buches beschrieben „Nur eine Lebenslüge?“

Eine zweite Lebenslüge, die in diesem Buch angesprochen wird, ist der Wille, die zerrissenen Stasiakten aufzuarbeiten. Die virtuelle Rekonstruktion zerrissener Stasi-Unterlagen, ein Projekt, das wohl nie über den Status eines Projekts hinauskommen wird – aber wen interessiert es heute noch. Einige Legenden könnten zerstört werden.

Bei Eva Ladipo ist es eine Fiktion: Für die Weiterentwicklung der Schnipselmaschine fehlt das Geld. In der Realität: Für die Weiterentwicklung der Schnipselmaschine fehlt das Geld.

Eine deutsch-deutsche Geschichte mit Schnipseln, die niemand mehr zusammensetzen will und Äußerungen zum scheinbaren Erfolg der Energiewende zum Schutz des Klimas und uns allen. Ein intelligent aufgebauter Thriller, Romandebüt der Journalistin und Korrespondentin Eva Ladipo.

Erschienen 2015 im Picus Verlag Wien

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Eine weitere lesenswerte Rezension bei leseschatz

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Eine Antwort zu Eva Ladipo: Wende

  1. Hauke schreibt:

    Moin und vielen Dank für die nette Verlinkung!
    Herzliche Grüße aus Kiel, Hauke

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