Düsseldorf im August 1969. Für einen Artikel im STERN müssen sich Nordrhein-Westfalens erste weibliche Anwärterinnen für die Kriminalpolizei in lächerlichen Posen und ebensolchen Outfits fotografieren lassen. Eine Story über sechs junge Quereinsteigerinnen erschien tatsächlich im Stern.
Mathias Berg hat diese Szene als Ausgangspunkt für die Krimireihe „Die Kriminalistinnen“ genommen, von der bisher zwei Bände erschienen sind. Die – fiktive – Lucia Specht, vormals eine Sekretärin erzählt darin von ihrer Ausbildung bei verschiedenen Abteilungen der Kripo (Band 1: Mord, Band 2: Sitte), von den Widerständen bei Behörden und in der Bevölkerung gegen „Frauen in der Polizei“. Hohn und Spott erfahren sie von Vorgesetzten und Kollegen und wäre damals der Begriff „Mobbing“ schon geprägt gewesen, erleben sie dieses in Reinkultur.
Von Kriminellen werden sie nicht für voll genommen, ebenso wenig von Opfern und Zeugen. Zudem ist die Zeit der Emanzipation noch nicht sichtbar angebrochen, so können Ehemänner ihren Frauen noch die Berufstätigkeit verwehren, von anderen Gesetzen wissen wir ebenso, dass sie die Belange und Interessen der Frauen nicht oder zumindest nicht ausreichend berücksichtigten.
So erleben Lucia Specht und ihre fünf Kolleginnen, die die Ausbildung zu Kriminalwachtmeisterinnen machen, dass ihnen nicht viel zugetraut wird, sie für wenig geeignet gehalten werden, den „Männerberuf“ auszuüben. Nach Ansicht vieler ein befristetes Experiment.
DER TOD DES BLUMENMÄDCHENS (DIE KRIMINALISTINNEN, Band 1)
Lucia Specht hat die erste Zeit ihrer Ausbildung bei der Mordkommission mit faden Aufgaben im Innendienst überstanden, als es dann wirklich ernst wird und sie zu einem Tatort mitgenommen wird. In einer Hippie-WG hat es an zwei Stellen gebrannt, mittendrin liegt das tote „Blumenmädchen“, vom Feuer unversehrt, aber übel zugerichtet. Und jedes Mal, wenn die angehende Kriminalistin irgendwo auftaucht, am Tatort oder bei Zeugenbefragungen, wird sie zunächst ungläubig angestarrt, wenn sie sich vorstellt, ihre Dienstmarke zückt. Sie schlägt sich wacker in ihrem Job, aber das Urteil – so hört sie als Lauscherin an der Wand – ist anscheinend schon gefällt, muss nur noch durch entsprechende Berichte bestätigt werden: UNFÄHIG für den Beruf als Kriminalpolizistin.
Sie arbeitet mit Kollegen und mit ihrem Chef zusammen und nicht immer können die Herren ihr diese Unfähigkeit nachweisen, zähneknirschend müssen sie ab und an die gute Leistung Lucias anerkennen. Mit den anderen Anwärterinnen trifft sie sich zum Mittagessen und abends. Dort wird dann über die Arbeit und die Hindernisse gesprochen, die ihnen in den Weg gelegt werden. Abends ist ab und zu Party mit den Kollegen. Dabei kommt man/frau sich auch näher. Lucia lässt uns ihre Kolleginnen näher kennenlernen – und besonders ihr eigenes Schicksal: Verlust der Mutter, wobei sie ansehen musste, wie ihre Mutter aus einem Park vor einem Mann flüchtete und dabei von einem LKW überrollt wurde. Der Fall wurde nie aufgeklärt, das möchte die Tochter nun nachholen. Sie arbeitet dran.
In diesem Band wird der Zeitgeschichte der notwendige Raum gegeben, um zu zeigen, wie die Verhältnisse damals bei der Polizei waren, als Frauen dort mit dem Ziel ausgebildet wurden, „richtige“ Kriminalistinnen zu werden. Dazu beschreibt Mathias Berg die gesellschaftlichen Gegebenheiten, speziell das Verhältnis Frau/Mann zu jener Zeit – ähnlich, wie ich, gleichaltrig mit Lucia, es erlebt habe. Wie es vermutlich für Leserinnen und Leser, die heute so alt sind wie Lucia damals, kaum vorstellbar ist. Zeitweise tritt dabei die Aufklärung des Mords an dem Blumenmädchen in den Hintergrund und auch Lucias Bemühungen, etwas Genaues über den Tod ihrer Mutter zu erfahren, stehen hier noch nicht im Focus der Story. Unter dem Aspekt „Wie war das damals für Frauen bei der Polizei“ ist dieser Teil ein interessantes Zeitdokument.
ACHT SCHÜSSE IM SCHNEE (DIE KRIMINALISTINNEN, Band 2)
Ein halbes Jahr nachdem der Mord an dem Blumenmädchen mit Lucias Hilfe aufgeklärt wurde, ist die angehende Kriminalistin bei der „Sitte“. Dort kontrolliert sie eines abends mit Kollegen die Einhaltung des Jugendschutzes in einer Disko, führt dabei die minderjährige, renitente Michaela nachts zu ihren Eltern zurück. Am nächsten Tag wird Michaelas Vater, ein stinkreicher Millionär, vor seiner Villa erschossen. Die Tochter hat offensichtlich die Todesschüsse durch das Küchenfenster beobachtet, will jedoch nur mit Lucia sprechen.
So gerät die Kriminalhauptwachtmeisterin in Ausbildung doch wieder zur Mordkommission und erzählt, was sie dort erlebt und ermittelt. Ihre Kolleginnen stehen ihr dabei zur Seite, die eine ist jetzt in der Kriminaltechnik, mit den anderen trifft sie sich beim Mittagessen oder abends in Kneipen oder anderswo. Das Verhältnis zu den männlichen Kollegen hat sich nicht wesentlich geändert, mal ein Techtelmechtel, mal mehr. Zudem wird Lucia im Dienst gestalkt. Zeitgeschehen auch hier: Homosexualität von Polizisten endet mit Rauswurf aus dem Polizeidienst. Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf aus Sicht des Ehemanns einer Kollegin.
Während die Ermittlungen im Todesfalls des Milliomärs ihren Lauf nehmen, widmet sich Lucia jedoch mehr und mehr der Recherche zum Tod ihrer Mutter.
Und da wird es gefährlich für Lucia. Bei Weitem jedoch nicht so dramatisch wie bei ihren beruflichen Ermittlungen, die so enden, dass die Leserinnen und Leser dieses Ereignis als Cliffhänger deuten können, möglicherweise aber auch als Ende der Reihe.
Da aber der Tod der Mutter noch nicht geklärt ist und auch noch andere Ausbildungsstationen für Lucia anstehen, ist davon auszugehen, dass wir die angehende Kriminalistinnen und ihre Kolleginnen in zumindest einem weiteren Band wiedertreffen und dann von Lucia erfahren, was ihr bei der Kriminaltechnik, der Wirtschaftskriminalität oder anderswo passiert, auf welche Spezies von Chefs und Kollegen sie dabei trifft, Affäre beginnen und enden.
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Die beiden Bände von Mathias Berg
- Die Kriminalistinnen – Der Tod des Blumenmädchens
- Die Kriminalistinnen – Acht Schüsse im Schnee
sind im EMONS Verlag erschienen