Sie hatten den Krieg verloren. Das wusste er. Und doch kämpften sie weiter, denn aufzugeben war noch schlimmer.
Er, Chief Superintendent der Sûreté du Quebéc, Armand Gamache, war bei seiner Ernennung zum Leiter dieser Organisation angetreten, um die Korruption innerhalb der Sûreté zu beseitigen und gegen den immer stärker werdenden Drogenhandel zu kämpfen. Doch der Einfluss der Drogenbosse wurde immer größer. Gamaches Hoffnung, ihn unter Kontrolle zu bringen, immer geringer.
Zu dieser Zeit taucht auf dem Dorfanger neben den drei Kiefern im Örtchen Three Pines – Wohnort Gamaches – eine seltsame Gestalt auf, in einen schwarzen Frack gekleidet und mit Maske. Sie steht einen ganzen Tag bewegungslos da, auch einen zweiten Tag. Zunächst sind die Einheimischer verwundert über diese Erscheinung, die sich nicht rührt und nicht spricht, im Laufe der Stunden zunehmend verängstigt. Sie erwarten von Gamache, dass er etwas unternimmt, damit die Gestalt verschwindet. Sie tut nichts Rechtwidriges, der Chief Superintendent kann nichts machen. Ob dieses „Es“ nach spanischem Vorbild einen Cobrador, ein Schuldeneintreiber, darstellen soll, oder ein Gewissen, das jemanden an eine schlechte Tat erinnern soll, wird spekuliert und wen will es ermahnen oder bloßstellen.
Dann verschwindet die Gestalt, wird kurz darauf allerdings tot von Gamaches Frau gefunden.
Monate später steht Gamache als Zeuge der Anklage vor Gericht, er wird zu den Vorgängen befragt, die sich damals im sonst so friedlichen Three Pines ereigneten und seiner Rolle, die er dabei spielte. Nach und nach kommt heraus, was passierte, erzählt im Wechsel von Gegenwart und dem Damals. Ein Puzzle, bei dem lange entscheidende Teile fehlen. Zudem ist Gamaches Verhalten so eigenartig, dass er in den eigentlichen Mittelpunkt dieses Kriminalromans rückt. Einerseits scheint den Chief Superintendent mehr die Sache mit den Drogenkartellen zu beschäftigen als die Aufklärung des Mordes. Andererseits ist da noch die moralphilosophische Frage, ob das Gesetz nicht in Ausnahmesituationen dem Gewissen unterzuordnen ist. In solch einer Situation steckt Gamache, als er im Zeugenstand unter Eid aussagt.
„Das Gesetz ist manchmal dumm und blind“, sagt er an anderer Stelle zu Reine-Marie, seiner Frau. Mit einem Verhalten gemäß Gandhi’scher Weisheit, dass das Gewissen zuweilen über das Gesetz gestellt werden sollte, begibt er sich in eine Zwickmühle, in die er auch andere mit hineinzieht. Gemeinsam haben sie sich auf diesen Weg begeben und vereinbart:
„Verbrennen wir die Schiffe hinter uns!“
Was das bedeutet ist klar. Wenn sie bei in der großen Sache Erfolg haben wollen, setzen sie ihren Ruf, ihr Karriere, alles, was sie im Leben erreicht haben, auf’s Spiel. Aber auch, wenn alles gut abläuft, wird es für Gamache, seine Verbündeten und Vertrauten nicht mehr so sein wie zuvor.
Was beim großen Showdown passiert, ob der Krieg in irgendeiner Weise doch gewonnen werden kann, welche Verluste – denn die gibt es bei jedem Ausgang – zu beklagen sind, darauf führt Louise Penny in hervorragender Weise ihre Leser hin. Dabei entwickelt sich ein Spannungsbogen, der Dynamik und Überraschungen enthält, die so nicht erwartet werden. Dass dabei der Mord von Three Pines geklärt wird, ist eine nette Zugabe.
Zum Schluss kehrt wieder Frieden in Three Pines ein. Wie die, die die Schiffe verbrannt haben überleben, werden wir im nächsten, dem 14. Fall für Gamache (Titel: Auf einem einsamen Weg) erfahren.
Der hier besprochene 13. Band der Chief Inspector/Superintendent Armand Gamache-Serie war der erste Band, der im Kampa Verlag 2018 erschienen ist. Damals war es beim Lesen nicht einfach, die stimmige Stimmung des Dorfes Three Pines und seiner Bewohner zu erfassen und zu spüren. Im Laufe der Jahre/Bände zogen auch Armand Ganmmache und Ehefrau Reine-Marie in diesen Ort.
Inzwischen sind alle vorherigen Bände der Serie bei Kampa erschienen und bereits Band 14, der 15. Band erscheint am 10.11.2022. Wir haben erlebt, wie sich ein Band auf dem anderen aufbaut. Nehmen am Leben von Three Pines teil. Verfolgen die Entwicklung der Gemeinschaft und der Individuen. Zuweilen erscheint es, als werden wir als Leser/Betrachter ein Teil der Dorfgesellschaft. Dennoch sollte sich niemand genötigt sehen, beim Lesen die numerische Reihenfolge der Bände einzuhalten. Jeder Band für sich beinhaltet eine abgeschlossene Geschichte, allerdings verbunden durch das Leben der Bewohner von Three Pines – und dieser Fixpunkt macht es dann doch interessant, die Bände in der Reihenfolge zu lesen, wie sie von Louise Penny geschrieben wurden.
– – – O – – –
Louise Penny: Hinter den drei Kiefern. Erschienen im Kampa Verlag (2018), übersetzt von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck. Originaltitel: Glass Houses (USA, 2017)
– – – O – – –
Bisher besprochene Bände der Reihe:
Band 1: Das Dorf in den roten Wäldern
Band 4: Lange Schatten
Band 5: Wenn die Blätter sich rot färben
Band 6: Heimliche Fährten
Band 7: Bei Sonnenaufgang
Band 8: Unter dem Ahorn
Band 9: Der vermisste Weihnachtsgast
Band 10: Wo die Spuren aufhören
Band 11: Totes Laub
Band 12: Auf keiner Landkarte
Ich hätte es von mir selbst nie für möglich gehalten, einer Autorin so weit zu folgen, bin schon bei Band 10 und habe noch nicht genug. Immer wenn ich schwieriges gelesen habe, setzt das Verlangen nach Three Pines wieder ein, obwohl man nicht wirklich von entspannender Lektüre sprechen kann. Spannend ist es nämlich immer.
Pingback: Der einsame Weg des suspendierten Chief Superintendent der Sûreté du Quebéc Armand Gamache: LOUISE PENNY: AUF EINEM EINSAMEN WEG | KrimiLese
Pingback: LOUISE PENNY: WILDES WASSER – der 15. Fall für Gamache | KrimiLese