Als seriöse Gerichtsreporterin musste Christine Brand informieren und abwägen, was von Gräueltaten berichtet werden kann ohne die Sensationslust des Publikums zu stillen. Als Krimiautorin sorgt sie mit kreativen Ideen für spannende Fiktion.
In Wahre Verbrechen erzählt die Schweizer Ex-Reporterin von ihren Erlebnissen im Gericht und bei Recherchen sowie den Gedanken, die ihr bei den Strafprozessen gekommen sind, verarbeitet beides in zum Teil sehr persönlichen, von Empathie getragenen Geschichten.
Sie betrachtet die Taten aus verschiedenen Perspektiven, denen der Opfer, der Täter, von Angehörigen und den Ermittlern. Die verschiedenen Sichtweisen geben ein Bild des jeweiligen Falles in einem Umfang, wie wir es sonst kaum erfahren.
Da ist zunächst der Mann aus der Nachbarschaft, der vier Personen tötet, die völlig ahnungslos ihrem Mörder ausgeliefert sind. Ein Mörder, bei dem die Polizei viele Jahre braucht, ihn zu überführen. Ein Täter, mit dem niemand gerechnet hatte. Ein Fall, bei dem zu erkennen ist, welche emotionale Nähe die Autorin in Laufe der Zeit zu den Opfern aufbaut, der – wie sie schreibt – ihr persönlich am nächsten ging.
In einer weiteren Geschichte berichtet sie von Niels Högel – im Buch nicht mit vollem Namen genannt -, dem Krankenpfleger, der schließlich in 85 Fällen des Mordes schuldig gesprochen wurde. Das waren allerdings nur die Taten, die ihm eindeutig nachzuweisen waren. Dieser Fall, der lange Zeit die Medien beschäftigte, wirft nicht nur die Frage auf, wieso Högel zum Serienmörder wurde, sondern insbesondere, weshalb er solange „tatkräftig“ an verschiedenen Arbeitsplätzen sein Unwesen treiben konnte. Diesen Fragen geht Christine Brand nach. Wegschauen von Kollegen und Vorgesetzten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Versetzungen, weil man sich offensichtlich bewusst ist oder vermutet, dass die Häufung von Todesfällen in der eigenen Abteilung oder Klinik nicht natürlich sein kann, besonders wenn sie in Verbindung mit der Person Niels Högel gebracht werden können. Und als Krönung solchen Verhaltens noch die Ausstellung eines sehr guten Arbeitszeugnisses, mit dem man den Mitarbeiter zum nächsten Tatort weglobt.
Das sind Storys, die die Autorin bewegen und die sie so schildert, dass wir ebenso berührt sind, wenn wir an die Opfer denken, auch Zorn empfinden, wenn wir an die Taten oder daran denken, wie sie ermöglicht wurden.
Dann gibt es mysteriöse Fälle, auch solche, die schräg oder kurios erscheinen, insgesamt sind es sechs von denen Christine Brand erzählt.
Beim Vergleich zu anderen True Crime Storys, die zumeist von Forensikern von Benecke bis Tsokos, der „Bodyfarmer“ Bass oder Ermittlern wie Petermann & Co geschrieben wurden, fällt auf, dass hier nicht ein Wissenschaftler oder Kriminologe am Werke ist, sondern ein empfindsamer Mensch das im Gerichtssaal und bei Recherchen Erlebte erzählt, ohne dabei in Gefühlsduselei zu verfallen. Zudem vermeidet die Autorin, die Fälle ins Spektakuläre aufzubauschen, obwohl sie alle als dramatische Fälle zu bezeichnen sind.
Mögen Berichte von Bodyfarmen, aus der Gerichtsmedizin oder aus Ermittlungsprotokollen unter diversen Aspekten höchst interessant sein, die Sichtweise zu diesen wahren Verbrechen ist ebenso höchst beeindruckend.
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Christine Brand: Wahre Verbrechen – Dramatische Fälle einer Gerichtsreporterin
Erschienen bei Blanvalet (2021)