Er ist einer der besten Krimis aus dem deutschsprachigen Raum der letzten Jahre. Zu Recht wurde Oliver Bottini für diesen Roman der Deutsche Krimipreis 2018 verliehen.
Hintergrund des Romans: Die Zeit der Neuanfänge liegt ein Vierteljahrhundert zurück. In Rumänien begann eine neue Zeit mit der rumänischen Revolution und der Hinrichtung von Nicolae Ceaușescu, in Deutschland mit der Öffnung der Berliner Mauer. Beides geschah im Jahre 1989.
„Verdaut“ sind die beiden Ereignisse bis heute nicht. Die Gewinnler kamen zu unermesslichen Reichtum auf Kosten derer, die in den stillen Winkeln des Lebens resigniert haben oder noch immer mit Hass auf jene Gewinnler sowie ignoranten und korrupte Politiker leben. Die Greueltaten des Ceaușescu-Regimes sind noch nicht aufgearbeitet. Landwirte, die ihre Äcker in die LPGs der DDR einbringen mussten, wurden nach der Wiedervereinigung betrogen, die kleinen Bauern in Rumänien durch Korruption und andere kriminelle Machenschaften privater und staatlicher Stellen um ihr Land gebracht. Entstanden sind riesige Agrarbetriebe in den Händen von Konzernen, zurückgeblieben sind die ehemaligen kleineren Landbesitzer und deren Nachkommen, verarmt, meist ohne Chancen, in den ländlichen Gebieten ein erträgliches Auskommen zu haben.
In Rumänien herrscht zudem noch die „Große Rumänische Krankheit“, im Klartext: Korruption. Dieses Übel hat Kommissar Ioan Corzma überwunden, aber er laboriert noch an den Folgen seines Handelns zu Ceaușescus Zeiten. Damals war er dabei, aus Faschisten, Geständnisse mit harten Verhörmethoden, Schlägen und Folter herauszupressen. Heute versucht er, unter dem Radar des „ Instituts für die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen und des Gedenkens an das rumänische Exil“ zu segeln – nicht aufzufallen, keine besonderen Fälle wie Mord zu übernehmen.
Jedoch, man lässt ihn nicht. Strippenzieher beginnen, ihn tanzen zu lassen. Cozma soll mit seinem Freund und Mitarbeiter Cippo – jener mit ähnlicher Vergangenheit wie Cozma, aber immer noch ab und zu an der Rumänischen Krankheit leidend – den Mord an einer jungen Studentin aufklären, der Tochter des deutschen Inhabers eines riesigen landwirtschaftlichen Betriebes im Banat. Den Mord versucht man, dem jungen Landarbeiter Adrian anzuhängen, der nach Deutschland flieht, in die Heimat der getöteten jungen Frau. Der Kommissar folgt ihm nach Mecklenburg-Vorpommern, wo ebenfalls riesige Landwirtschaftsbetriebe unvorstellbarer Größe auf dubiose Weise aus den LPGs hervorgegangen sind. Durch Betrug und andere kriminelle Machenschaften haben es Insider verstanden, den Wert der LPGs niedrig darzustellen, Politik und Treuhand folgten dem Wahn, möglichst große Agrarbetriebe zu etablieren. Ehemalige Eigentümer der Äcker wurden bei der Vergabe des Landes nicht berücksichtigt und für wenig Geld abgefunden. Dort, im Umfeld der Familie der getöteten Studentin, erfährt Cozma, dass Adrian nicht der Mörder ist. Der Kommissar fährt zurück nach Rumänien und macht sich dort auf die Suche nach den Strippenziehern für das Verbrechen an der jungen Deutschen sowie anderer Morde und weiterer Verbrechen der Gegenwart und der Vergangenheit. Seiner eigenen Vergangenheit stellt sich schließlich auch Cozma. Und in diesem Punkt endet der Roman versöhnlich.
Groll bleibt bestehen gegen die Art des Landgrabbings, ob nun politisch sanktioniert und durch die Treuhand unterstützt wie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR oder durch kriminelle Akte wie in Rumänien. Verlierer und Betrogene gibt es hunderttausendfach und hat viel Leid und auch Tod in die stillen Winkel des Lebens gebracht.
Oliver Bottini hat mit diesem Roman Zeitgeschichte transparent gemacht, die als Erfolg dargestellt wurde, viel Hoffnung und Leben jedoch verstört hat. Diese Schicksale sind bis heute allerdings überwiegend da versteckt, wie es im Titel des Buches ausgedrückt ist – verdrängt in stille Winkel.
Ein lesenswerter Roman, Danke, Oliver Bottini, dass sie diese Geschichte erzählt haben.
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Oliver Bottini, Der Tod in den stillen Winkeln, erschienen 2017 im DuMont Buchverlag
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Wer die Gelegenheit hat, eine Lesung von Oliver Bottini zu besuchen, sollte hingehen und zuhören. Ich war bei einer von Jörg Armbrüster moderierten Lesung zu diesem Roman. Oliver Bottini las einige kurze Kapitel aus dem Buch. Höchst interessant war zudem, was der Autor über diese Zeit des Landgrabbing und der schleppenden Aufarbeitung der Verbrechen von Ceaușescus Schergen – erinnert verdammt an die Aufarbeitung des Holocausts und der Gräueltaten während des III. Reiches – über den Inhalt seines Buches zusätzlich zu erzählen hatte.
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Lesenswert: Ein Interview von Tomasz Kurianowicz mit Oliver Bottini in ZEIT ONLINE
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Schlussbemerkung: Trotz zahlreicher Lobeshymnen von Tobias Gohlis, Thomas Wörtche et al. sowie der Auszeichnung mit dem Deutschen Krimipreises 2018 habe ich den Roman von Oliver Bottini erst jetzt gelesen. Abgehalten hatte mich davon der banale Klappentext, der nichts über den brilliant erzählten Inhalt mit zeitgeschichtlicher Bedeutung erwähnt. Aber lieber spät als nie!
Für mich ist dieser Roman ein Musterbeispiel, wie man gesellschaftlich relevante Themen sehr literarisch auch in einem Genreroman erzählen kann. Für mich wäre ein solcher Roman auch mal ein Kandidat für eine Nominierung bei einem “normalen“ Buchpreis.
Zustimmung, Gunnar. Und verständlich. Das ist bei „normalen“ Buchpreisnominierungen nicht immer so.
Auch von mir Zustimmung. Ich habe in dem spannenden Buch sehr viel erfahren, was ich so nicht wusste. Habe es schon mehrfach verliehen.