Marcie Rendon: Am roten Fluss

IMG_7350-002Tagsüber fährt die neunzehnjährige indianische Landarbeiterin Cash auf den Farmen um Fargo, North Dakota, Getreidekipper und Rübenlaster. Abends und nachts erspielt sie sich am Pooltisch ein Bier nach dem anderen, zockt die Männer ab, erweist sich als äußerst trinkfest.

Diese Routine wird im Sommer 1970 unterbrochen, als auf einem abgeernteten Weizenfeld ein ermordeter Landarbeiter gefunden wird – wie Cash ein Indiander. Zwar finden sich bei dem Toten keine Papiere, aber Cash erkennt, dass er aus der Red Lake-Reservation stammt, der Tod Leid über seine Familie bringen wird. Cash lässt Arbeit Arbeit sein, hockt sich in ihren Ranchero Truck und düst gen Norden, um die Familie zu suchen, ihr beizustehen, denn sie ahnt, was den Kindern passieren wird, wenn sie keinen Vater mehr haben:

Ein Schicksal, das Cash erfahren und durchlitten hat. Vater verschwunden, Mutter zumeist an der Flasche. Grund genug die Kinder in Pflegefamilien zu stecken. Pflegefamilien, die ihre Pfleglinge mies behandelt und zur Arbeit gezwungen haben. Die aufmüpfige Cash hat sich das nicht immer gefallen lassen und wurde so vom Amt von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, Nachkommen skandinavischer Einwanderer, weitergereicht. Mit elf Jahren wurde sie bereits zu schwerer Landarbeit gezwungen, mit sechszehn hatte sie das Glück, unter die Fittiche von Sheriff Wheaton zu gelangen, der für sie bürgte, ihr eine kleine Wohnung besorgte und Cash in ein eigenständiges Leben führte.

Marcie Rendon stellt das Schicksal der jungen Landarbeiterin in den Vordergrund ihres Romans, basierend auf dem, wie im 19. Jahrhundert bis 1934 die Vereinigten Staaten von Amerika mit indianischen Kindern umgegangen sind. In „Anmerkungen der Autorin“ am Ende des Buches beschreibt Marcie Rendon, dass die Kinder zu der Zeit systematisch aus ihren Familien herausgerissen und in Internatsschulen gesteckt (wurden).Dort wuchsen sie auf wie Kriegsgefangene, wurden bestraft, wenn sie ihre Muttersprache sprachen, wurden bestraft, wenn sie mit ihren Geschwistern redeten…..115 Jahre erlebten Kinder nicht mit, wie Eltern Kinder großziehen…..Dann wurden sie heimgeschickt in die neu geschaffenen Reservationssysteme, wo es bis in die späten 1960er Jahre gängige Praxis der für County oder Staat tätigen Sozialarbeiter war, Indianerkinder einfach zu verschleppen und in weißen Pflege- und Adoptivfamilien auszusetzen.

Dieses System hat Cash geprägt und man ist beim Lesen erstaunt, wieviel Empathie die junge Indianerin bewahrt hat. Nur ist ihre Empathie am Red Lake nicht willkommen.  Letztlich wird der Mord mit Cashs Hilfe und ihrem mutigen Einsatz aufgeklärt.

Haften bleibt ein winziger Abschnitt US-amerikanischer Geschichte.

In Erinnerung bleibt Cash, die ihren Weg durch die raue Welt der Landarbeiter auf den Felder und in Kneipen sucht, realistisch ist, auch wenn sie Countrsongs dichtet, die wohl nie veröffentlicht werden, mit Texten wie „Sonnensattes Weizenland, warm strahlt gottes Gunst herab, heilt mein Herz so sanft“. „gottes“ kleingeschrieben! Cash mochte das Wort Gott nicht. Schrieb es deshalb innerlich in Kleinbuchstaben. Was hatte er je für sie getan? Das ist Cash, laut Klappentext lakonisch und illusionslos, mit einem leisen, rebellischen Humor.

Stimmt! – Ein faszinierend erzählter Roman.

— O —

Am roten Fluss (Originaltitel: Murder on the Red River“) ist Marcie Rendons erster Roman. In deutscher Übersetzung von Laudan & Szelinski erschienen 2017 als Ariadne-Taschenbuch im Argument Verlag, als eBook bei Culturbooks.

Marcie Rendon ist Stammesangehörige der Anisshinabe White Earth Nation arbeitet als Dichterin, Stückeschreiberin und Performancekünstlerin, kuratiert indigene Künstler/innenforschung, macht noch vieles mehr.

— O —

Dazu:

AxelB schreibt in seiner Kriminalakte zu Am roten FlußDer Kriminalfall, verstanden als die Suche und Überführung der Täter, ist für Marcie Rendon, Stammesangehörige der in Minnesota lebenden Anishinabe White Earth Nation und Stückeschreiberin, nur der Vorwand, um über das ärmliche Leben am Red River um 1970 zu erzählen.

Treffend ausgedrückt auf Die dunklen Felle: „Neben Cash ist definitiv – und das gehört sich dann auch so in einem Country Noir – das Land die zweite, aber gleichrangige Protagonistin.“

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Eine Antwort zu Marcie Rendon: Am roten Fluss

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