Zum 1. Advent gab’s Roald Dahls „Lammkeule“

P1030218So makaber wie dieser kleine Kurzkrimi ist kaum eine andere Kurzgeschichte um einen perfekten Mord. Ein unnatürlicher Todesfall, der sich ohne langfristige Planung ereignete.

Dabei fing alles so an wie immer. Es sollte ein harmonischer Abend werden im Hause von Mary und Patrick Maloney, einem Polizisten. Wie jeden Nachmittag sehnte Mary die Ankunft ihres Gatten herbei, der stets um fünf Uhr von seinem Dienst als Polizist nach Hause kam. Es war zudem Donnerstag, der Tag, an dem Mary und Patrick gewöhnlich zum Essen abends ausgingen.

Der Inhalt: Mary, im 6. Monat schwanger, wartet zu Hause auf ihren Mann. Als er pünktlich wie immer heimkommt, begrüßt sie ihn mit einem Kuss und startet das übliche Ritual: Sie bereitet ihm und sich selbst je ein Glas Whisky und wartet darauf, dass ihr lieber Mann sich etwas erholt, die Müdigkeit nach einem anstrengenden Arbeitstag von ihm weicht. Doch heute erscheint er besonders müde. Mary schlägt deshalb vor, zu Hause zu bleiben und etwas zu kochen. Doch Patrick lehnt jedes Bemühen seiner Frau ab, ihn gut zu versorgen. Und nach einem 2. Whisky sagt er es ihr: Er will seine schwangere Frau verlassen. Mary kann zunächst nicht realisieren, was Patrick ihr gesagt hat. Glaubt, sie bilde es sich nur ein, was sie soeben gehört hat. Wie in Trance erklärt sie noch einmal, dass sie nun das Essen zubereiten wolle – und Patrick hält sie dieses Mal nicht zurück.

Mary geht in den Keller, greift sich aus der Tiefkühltruhe das erste Stück Fleisch, dass sie erwischt: eine Lammkeule. Zurück im Wohnzimmer sagt Patrick, während er ihr den Rücken zukehrt: „Koch bloß kein Essen für mich. Ich gehe aus.“ Es sind seine letzten Worte, denn Mary schlägt ihm mit großer Kraft die gefrorene Lammkeule auf den Hinterkopf. Das ist das Ende von Patrick und einer Ehe, die für Mary so glücklich schien.

Mit diesem Schlag wird Mary bewusst, dass möglicherweise die Todesstrafe auf sie wartet.

Und mit diesem Schlag verändert sich Mary. Sie handelt überlegt, schiebt die Keule in den angeheizten Ofen, läuft schnell zum Gemüsehändler, dem sie erzählt, sie wolle für den müden Patrick ein Abendeseen bereiten, das Fleisch sei schon im Ofen, sie bräuchte noch Kartoffeln und Erbsen. Sie tut so, als herrsche Friede und Freude zu Hause, der Händler empfiehlt ihr noch Käsekuchen zum Nachtisch, weil Patrick ja so gern Käsekuchen isst. Erfreut nimmt Mary auch noch den Käsekuchen mit und bildet sich ein, das alles seine Ordnung hätte und sie schockirt wäre, wenn Patrick in der Zwischenzeit etwas zugestoßen wäre. So ist sie schockiert, als sie nach Hause kommt und den toten Patrick im Wohnzimmer liegen sieht. Sie nimmt das Telefon, ruft Patricks Kollegen bei der Polizei an und berichtet, dass sie Patrick bei ihrer Rückkehr tot aufgefunden habe. Die Polizisten kommen, rufen Verstärkung: Kriminalbeamte, einen Arzt und den Polizeifotograf. Schnell erkennen sie, dass Patrick erschlagen wurde. In Haus und Garten wird die Tatwaffe gesucht, denn sie kennen die alte Geschichte, die auch einer von ihnen zum Besten gibt: „Wenn man die Waffe hat, hat man auch den Täter.“

Inzwischen bruzzelt die Keule im Ofen und ein Polizist macht Mary darauf aufmerksam. Die trauernde Witwe scheint vergessen zu haben, dass sie vor ihrer kleinen Einkaufstour das Stück Fleisch in den Ofen geschoben hatte. Aber dann bittet sie die ehemaligen Kollegen ihres Mannes um einen Gefallen. Sie bittet sie, die Keule zu essen, sie selbst könne keinen Bissern herunterbringen und Patrick hätte im Übrigen gewollt, dass sie seine Kollegen gut bewirte. Schließlich willigen die Ex-Kollegen ein, ihr den Gefallen zu tun, essen, trinken und unterhalten sich, wo denn die Mordwaffe sein könnte. Wohl nicht weit weg, da kein Mörder so ein schweres Ding lange mit sich herumschleppen würde. Sie sei wohl noch im Haus oder im Garten. „Wahrscheinlich genau vor unserer Nase,“ mutmaßt einer von ihnen. Im Wohnzimmer kichert Mary.

Diese Geschichte von Roald Dahl ist 1953 erschienen, zu einer Zeit, als es in Großbritannien noch die Todesstrafe (Hinrichtung durch den Strang) gab. Mary Maloney war sich also sehr wohl bewußt, was ihr bevorstand, wenn sie des Mordes an ihrem Ehemann überführt würde. Der Gedanke an ihr Ende entweder zusammen mit ihrem ungeborenen Kind oder nach der Geburt des Kindes verleiht ihr den klaren Verstand, den sie benötigt, um nach der Tat so zu handeln wie es ihr gelungen ist.

Damit ist Roald Dahl eine Geschichte gelungen, die unterhaltsamer kaum sein kann: spannend, mit schwarzem Humor der besten Art. Er erzählt von der braven Hausfrau, die ihren Mann liebt, durch die Schwangerschaft an Anmut gewonnen hat. Die in einer spontanen Handlung die Lammkeule auf den Kopf ihres untreuen Mannes krachen läßt und kurz nach diesem Schlag mit einer Kaltblütigkeit, die ihr nicht zuzutrauen war, ihre Tat vertuscht. Köstlich ist es zu lesen, wie durch das Braten und wie die Polizisten durch den Verzehr der Keule die Tatwaffe und die Spuren daran, die mit ihr zur Mörderin geführt hätten, vernichten.

Es ist eine Kriminalgeschichte, die ich immer wieder lese, die mir jedes Mal – dieses Mal am 1. Advent – wieder gefällt, bei der ich schmunzeln kann über Mary und über die Polizisten, die so nah an der Mordwaffe sind und sie nicht erkennen.

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In Deutschland ist LAMMKEULE in Roald Dahls Kurzgeschichtensammlung „…und noch ein Küßchen“ bei Rowohlt erschienen.

Das oben abgebildete Büchlein ist der unveränderte Nachdruck der Übersetzung von Hans-Heinrich Wellmann, erschienen in der Reihe „edition CrimeLetters“ des Basse und Lechner Verlags, eine bibliophile Kostbarkeit aus dem Jahr 2007

 

 

 

 

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2 Antworten zu Zum 1. Advent gab’s Roald Dahls „Lammkeule“

  1. Dunkles Schaf schreibt:

    Eine tolle Geschichte – ich kann verstehen, dass Du diese jedes Jahr auf ein Neues genießen möchtest.

  2. Pingback: So kann’s Christkind auch mit kleinen Sachen Krimilesern Freude machen | KrimiLese

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