Andreas Kollender: Kolbe

P1030170Mir ist kein Agententhriller aus der Zeit des zweiten Weltkriegs bekannt, der derart sensibel in einem Zusammenspiel von Fiktion und wahren Gegebenheiten das Wirken eines Spions beschreibt, wie dieser.

Während Fritz Kolbe, Beamter im Auswärtigen Amt in Berlin, in den letzten Kriegsjahren durch Weitergabe wichtiger Dokumente an den amerikanischen Geheimdienst versuchte, den Krieg mit seinen verheerenden Ereignissen abzukürzen, und nach dem Krieg als Nestbeschmutzer und gar Verräter von alten, inzwischen durch geschickte Manipulationen entnazifizierte Ex-Nazis geächtet wurde, blühten Leute wie Gehlen und viel andere im neuen Deutschland zu ungeahnter Größe wieder auf. Kolbe hingegen, der brav und wohl mit einem großen Rucksack voller Naivität – dabei unter höchstem Risiko – das Gute für seine Mitmenschen und die nachfolgende Generation erreichen wollte, wurde lange Zeit vergessen. Sowohl von denen, die direkt von seiner Widerstandsarbeit profitierten wie Dulles und Amerika, aber ebenso und bewusst von den neuen Leuten der neu entstandenen Republik, denn denn die neuen Leute waren oftmals die alten Schergen des dritten Reiches.

Andreas Kollender schildert die Geschichte des Widerstands des biederen aber in die Zukunft blickenden Fritz Kolbe, dessen berufliche und private Erlebnisse, die Liebe zu Marlene, die Traurigkeit, fern von seiner Tochter Katrin zu leben.

Es erscheint nicht wichtig, was Fiktion ist, was Wirklichkeit war. Entscheidend ist, was Kollender herausgearbeitet hat: Einerseits die klare Denkweise von Leuten wie Kolbe mit dem Wissen um die wahrscheinlichen Konsequenzen der Naziherrschaft, andererseits die menschenverachtende Vorgehensweise größenwahnsinniger Nazibonzen und ihres Gefolges. Aber auch die Fehleinschätzungen der Gegner und besonders auch die Ziele der einzelnen Staaten nach der Kapitulation des Großdeutschen Reiches. Während es in diesem Roman angedeutet ist, dass Churchill plante, unter Mithilfe verbliebener deutschen Truppe (der „Geisterarmee“) gegen Russland vorzugehen, ist dies in Der Nürnberger Prozess (Joe L.Heydecker, Johannes Leeb, Neuausgabe bei KiWi (2015), Seite 51/52) dezidiert beschrieben.

So kann Kolbe als spannender Agententhriller, verortet in Berlin und Bern der Jahre 1943-1945 betrachtet werden. Das Buch kann aber auch dazu dienen, dass sich seine Leser noch einmal intensiver mit unserer Vergangenheit beschäftigen. Dazu empfehle ich als Lektüre Der Nürnberger Prozess von Heydecker/Leeb, in dem nicht nur der Ablauf des Prozesses mit der Uneinsichtigkeit der meisten der Angeklagten und deren Verbrechen beschrieben ist, sondern auch – und das ist der Link zu Kollenders Kolbe – die Entwicklung während der letzten Monate des Kriegs und den Monaten bis zum Prozessbeginn.

Ich schließe mich dem Statement von Marcus Müntefering in SpiegelOnline an: „Andreas Kollender (hat) dem Widerstandskämpfer mit seinem Roman „Kolbe“ ein Denkmal gesetzt.“

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Andreas Kollender: Kolbe, erschienen im Pendragon Verlag 2015

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4 Antworten zu Andreas Kollender: Kolbe

  1. crimealley schreibt:

    Schöne Besprechung! „Kolbe“ ist letzte Woche als Leseexemplar bei mir reingeflattert. Mal sehen wann ich dazu komme das Buch zu lesen.

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