Der junge Kleinkriminelle Filippo trifft im Gefängnis auf den gestandenen politischen Häftling, den Rotbrigadisten Carlo. Carlos Erzählungen von seinem Kampf in Italiens Brigate Rosse faszinieren den jungen Mithäftling. Als Carlo flieht, schließt sich Filippo zufällig an und wird schwer enttäuscht, als sich Carlo gleich nach der geglückten Flucht von ihm trennt. Während der Kleinkriminelle wochenlang Richtung Mailand wandert, wird Carlo dort bei einem Banküberfall getötet. Filippo türmt nach Paris zu Lisa, der ehemaligen Weggefährtin von Carlo, die dort im Exil in überwiegend lockerer Bindung zu anderen italienischen Asylanten lebt. Während Lisa den Mythos von Carlo, der durch Intrigen von Geheimdienst und Staat zunächst verurteilt, dann aber nach der Flucht von eben diesen Intriganten in die Falle gelockt und erschossen wurde, bewahren möchte, geht der von Carlo enttäuschte Filippo einen anderen Weg.
Während seiner Arbeit als Nachtwächter schreibt er einen Roman über sein Leben mit Carlo im Knast und bis zum hin zu dessen Tod, von dem er lediglich aus Zeitungen erfahren hat. Seine Geschichte ist die Geschichte zweier Vertrauter, die von einer gemeinsam geplanten Flucht bis zum Banküberfall und den Schüssen vor der Bank erzählt. Es ist der Traum von Anerkennung des Kleinkriminellen durch Carlo. Der Traum vom Weg des Kleinkriminellen zum bedeutenden Mitglied des linken Widerstands in Italien. Die Story wird veröffentlicht, das Buch ein riesiger Erfolg. Italienische Polizei und Geheimdienste werden darauf aufmerksam. Ein Zeuge tritt gar auf, der Filippo in der Nähe der Bank zur Tatzeit gesehen hat, die Exil-Italiener in Paris sind beunruhigt. Realität und Wahrheit vermischen sich mit Fiktion und Lügen, mittendrin der ehemals unbedarfte Kleinkriminelle, der sich mit Hilfe seines Verlags zum Bestseller-Autor mausert.
Dominique Manotti schreibt in diesen Roman über einige Aspekte der Geschichte Italiens der 1980er Jahre. Basis sind die Aktionen der Roten Brigade sowie der anderen mit ihr mehr oder weniger verbundenen linken Gruppierungen. Ebenso ist die „Strategie der Spannung“ in ihrem Roman ein Thema, die Strategie von Rechtsextremisten, Geheimdiensten, der Geheimloge P2 und anderen Organisationen (auch aus den Bereichen der NATO und des CIA), mit inszenierten Terrorakten, die sie den linken Kräften unterschieben, Stimmung gegen die zerstrittene Linke zu machen. Urheber dieser „Fakes“ wurden zumeist nicht ermittelt und nie verurteilt. Für jemanden, der sich nicht in diesem Bereich der italienischen Geschichte auskennt, mag es zunächst unglaublich klingen, was da von der Autorin erzählt wird. Zum Glück ist dem Roman eine „Kleine Legende zu politischen Termini“, zusammengestellt von Else Laudan und Iris Konopik, nachgestellt, die diese politischen Gruppierungen und Begriffe auf wenigen Seiten beschreiben, zudem wird dort auf weitere Quellen verwiesen.
Wie geht es aus für Filippo, den Ex-Kleinkriminellen? Wer diese abenteuerlichen und höchst interessante Geschichte bis nahezu zum Schluss verfolgt hat, jetzt die Vorgehensweise der Kräfte kennt, die die Strategie der Spannung auf ihre Fahnen geschrieben haben, wird es ahnen.
Und obwohl die Zeit des Geschehens in diesem Roman vor rund 30 Jahren angesiedelt ist, zeigt das Werk beklemmende Aktualität.
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Original: L’évasion (Frankreich 2013), dt. 2014 (Übersetzung: Andrea Stephani), mit einem Anhang von Laudan/Konopik: Kleine Legende zu politischen Termini
Deine Beschreibung liest sich sehr spannend, danke dafür.
Ist das das neueste von ihr? Habe ich gar nicht mitgekriegt, gut, dass Du darüber schreibst. Ich habe bisher alle Bücher von ihr gelesen und schätze diese Autorin sehr.
Seit kurzer Zeit auf dem Markt.
Guten Morgen! Ich werde »Ausbuch« auch lesen und besprechen. Normalerweise lese ich vorher keine Rezensionen, aber heute mache ich mal eine Ausnahme. Viele Grüße aus Köln. Nora
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