Ihr neuestes Buch „Das Mädchen seiner Träume – Commissario Brunettis 17. Fall” schreibt Donna Leon so, wie man sich eine alte italienische Mama in Kittelschürze beim Pizza backen vorstellt: Auf einen dünnen Boden einfachen Mehlteigs werden die Reste aus Keller und Vorratskammer aufgelegt, mit Soße übergossen und zum Backen in den Ofen geschoben. Die fertige Pizza macht die Familie satt, egal wie es schmeckt.
Übertragen auf die Autorin und ihr neuestes Buch heißt das: Donna Leon hat ihren Schreibtisch aufgeräumt und das, was sie dort so fand, zu einem Roman verarbeitet. Uns Lesern hat sie die Aufgabe der Familie zugedacht: satt werden, egal ob’s schmeckt und geistig verdauen.
Zu den Zutaten gehören unter anderen die Geschichte eines Priesters, der in Afrika wissentlich oder unwissentlich Werkzeug von Kirchenleuten war, die Spendengelder in die eigene Tasche wirtschafteten, und der nun nach einer Strafversetzung in die Abruzzen überraschend schnell wieder in Venedig gelandet ist. Ferner ein Sektenführer, der in Venedig sein Unwesen treibt, indem er die Spenden seiner Sekte, der Kinder Jesu Christi, in das eigene Säckel stopft, jedenfalls so lange, bis die Finanzpolizei sich auf einen Tipp Brunettis hin bei ihm anmeldet und er Hals über Kopf spurlos verschwindet. Als dritte Zutat, taucht dann zwischendurch – nach mehr als 100 Seiten – das ertrunkene Mädchen in einem der venezianischen Kanäle auf, eine elfjährige Roma, die beim Diebstahl in einer Wohnung erwischt und zur Terrasse hinausgeschmissen wurde, wonach sie über die Dächer abgerutscht, in den Kanal gefallen und dann ertrunken ist.
Diese Geschichte ist die auf dem Schutzumschlag und auf Werbeträgern avisierte. Mir ist es unbegreiflich, weshalb ich erst nach stundenlangem Lesen auf ihr Auftauchen warten musste, besonders auch deshalb, weil alles Vorherige und auch das meiste Folgende in keinem Zusammenhang zu der blumig angekündigten dünnen Story steht.
Brunetti versucht in diesem überschaubaren, immer wieder unterbrochenen Erzählstrang des eigentlichen Falles sowohl im Lager der Roma, in dem das kleine Mädchen mit ihrer Familie lebte, als auch bei der bestohlenen Familie den Tathergang zu ergründen und zu verstehen, was ihm auch größtenteils gelingt – immer inmitten der Soße, die die Autorin darüber goss.
Die Soße ist ein Gemisch aus Lamento und Philosophieren über die Ungerechtigkeiten im heutigen Italien, über die Gesetze, die nicht für alle gleichermaßen gelten, über die Art wie mit Minderheiten, in diesem der „nomadi“ , umgegangen wird, aber auch, wie diese nach ihren eigenen Gesetzen leben, schließlich auch über die Klerikalen, den Glauben und den Unglauben. Davon ist Brunetti offensichtlich dermaßen angetan, dass er kaum einmal Zeit findet, auf dem Weg von oder zur Questura in eine Bar oder Ristorante zum Frühstücken, Essen, auf einen Wein oder einen Espresso einzukehren. Nur einmal holt er sich einen Coffee to go – und Donna Leon scheint es gar nicht zu merken, sonst müsste ja auch darüber und über den Verfall der Ess- und Trinksitten im Allgemeinen lamentiert werden.
Dass Brunettis Chef Patta bei einem internationalen Polizeikongess im Berliner Adlon nächtigt, ist dagegen wieder Anlass, den Sittenverfall bei der Polizei und Patta im Besonderen anzuprangern, genau wie über die Schlüsse, die Patta aus dem Kongress und dem vermeintlich guten Projekt zieht, mehr Verständnis zwischen der „normalen“ Bevölkerung und den Migranten unter Mithilfe der Polizei zu erwirken. Patta macht daraus ein Projekt, die Subventionstöpfe dazu anzubohren, und setzt einen seiner unfähigsten Mitarbeiter für die Umsetzung des Projekts ein. Nun gut, das erscheint nicht fremd, man kann sagen, es kommt einem bekannt vor.
Außer einigen lesenwerten Sequenzen aus den oberen Schubladen des Schreibtischs, kramte Donna Leon zumeist Zutaten aus den hintersten Winkel der Laden hervor, einige davon wären besser in den Papierkorb gewandert. Zu hoffen ist, dass nun bei ihr alles entrümpelt ist und Brunetti im 18. Fall wieder in einem frischen und erfrischenden Fall ermitteln kann, bei dem er auch wieder Freude und Gelegenheit findet, einige seiner liebgewordenen Lokale der Stadt zu besuchen.
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Originaltitel: The Girl of His Dreams, USA 2008, dt. 2009 ( Übersetzung: Christa E. Seibicke)
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Diese Rezension wurde zuerst veröffentlicht am 13.06.2009 auf http://philipp1112.wordpress.com